von Gunda
Das nur vorweg bemerkt: Die meisten Japaner sind unglaublich stolz auf ihre hochentwickelte Medizin mit allem, was dazugehört. Trotzdem boomt hier die "Self-medication", und fast jede Drogerie hat eine Apotheken-Abteilung mit frei verkäuflichen Medikamenten. Außerdem kann man im Convinience-Store alle möglichen Fläschchen mit dopingähnlichen Wässerchen kaufen, die stark aufputschen und dem Körper suggerieren, er sei gesund.
Trotzdem gehört Japan zu den Ländern mit der höchsten durchschnittlichen Lebenserwartung...
Wie schon in der Vergangenheit beschrieben, brauchte ich hier einen Arzt, der mir meine Medikamente gegen Migräne weiter verschreibt, weil meine deutsche Krankenkasse im Moment nur Rechnungen aus Japan akzeptiert. Kein Problem, meinte mein Arzt in Deutschland, meine Medikamente gäbe es da auch. Also hatte ich beim Umzug nach Japan eine Sorge weniger.
Nach und nach sind mir dann natürlich die Medikamente ausgegangen, obwohl ich schon einen ganzen Haufen (Zoll sei Dank) mit hierher gebracht hatte. Zuerst die Medikamente für einen konkreten Migräneanfall.
Als das Zeug zur Neige ging, hat Thomas für mich in der Ausländer-Mailingliste nach einem geeigneten Krankenhaus geforscht. Denn hier gibt es keine speziellen Arztpraxen, keinen ausgesuchten persönlichen Arzt, sondern nur (meist private) Krankenhäuser, die einfach vormittags Sprechstunde haben.
Der Mailingliste hatte Thomas den Namen und den Wirkungsort einer Englisch sprechenden Neurologin abgerungen. Also bin ich in das "Tsukuba Memorial Hospital" ("Tsukuba Kinen Byoin") gefahren. Der Bus, in den ich umsteigen mußte, fuhr nur einmal in der Stunde, und so hatte ich die Ärztin knapp verpaßt. Einen Tag später bin ich in aller Frühe aufgebrochen, um es noch einmal zu versuchen.
Wer sich jetzt vorstellt, daß man sich da irgendwo anmeldet, dann ein bischen wartet, drankommt und wieder rausgeht, ist von Deutschland ziemlich verwöhnt. (Ich hätte mir nie träumen lassen, daß ich mal schreiben würde, daß man in Deutschland verwaltungstechnisch verwöhnt werden würde!)
Nein, das ist doch etwas komplizierter:
Erst das Aufnahmeverfahren. Natürlich konnte keiner Englisch. Nach einer Weile war ein Angestellter gefunden, der von sich behauptete, Englisch zu können. Der radebrechte mir dann eins über die Aufnahme und organisierte einen Aufnahmebogen in Englisch, den ich ausfüllen mußte. Dann nahm er den Bogen, brachte ihn, mit mir im Schlepptau, zu der entsprechenden Abteilung und erzählte der dortigen Organisationsfrau, ich könne kein Japanisch. Japaner gelten ja allgemeinhin als zurückhaltend, was Gefühlsausbrüche angeht; aber davon hatte die Dame wohl noch nichts gehört, denn sie verdrehte die Augen nach oben und stöhnte hörbar. - Vielen Dank! Da fühlt man sich doch gleich willkommen...
Dann mußte ich eine Stunde auf dem mir zugewiesenen Platz warten, bis mein Name ("Gunda-sama!") aufgerufen wurde. Ich kam aber nicht etwa zur Ärztin, sondern durfte nur in den Bereich vor dem Sprechzimmer der Ärztin aufrücken. Da habe ich dann nochmal eine halbe Stunde gewartet und kam endlich dran.
Die Ärztin bekam von mir artig meine Krankengeschichte erzählt. Dann legte ich ihr das englische Schreiben meines Arztes in Deutschland vor und sagte ihr, daß ich gerne die Anfalls-Medikamente verschrieben bekommen würde. Wenn sie Fragen zu der Medikation hätte, könnte sie ja gerne meinem Arzt eine Mail nach Deutschland schicken.
Da ich wußte, daß mein Verhalten für eine japanische Ärztin sehr Patienten-untypisch erscheinen mußte, war ich in Folge auf so ziemlich alles gefaßt. Der japanische Durchschnittspatient geht nämlich zum Arzt, sagt "Sensei, mir geht's nicht gut; machen Sie mich gesund." und den Rest muß der Arzt besorgen. Da werden keine fertigen Diagnosen auf den Tisch gelegt, keine Medikamente gewünscht und schon gar nicht das angezweifelt, was der Arzt sagt oder verschreibt. Zu Medikamenten gibt es keine Beipackzettel (außer mit Anweisungen), und immerhin wollen inzwischen schon 40% der japanischen Patienten es wirklich wissen, wenn sie z.B. Krebs haben...
Die Ärztin guckte lange auf das Schreiben meines Arztes, holte einmal tief Luft und meinte dann, diese Medikamente würde sie nicht kennen und müßte erst die Medikamenten-Abteilung anrufen. Sie verzichtete also darauf, mich in irgendeiner Weise zu untersuchen und rief in besagter Abteilung an, woraufhin sie mir sagte, daß es diese Medikamente in Japan nicht gebe. Ich war schon ganz verzweifelt; aber sie hatte mir in der Zwischenzeit eine Alternative auf ein Rezept geschrieben. - Ein Medikament, das ich kannte und das ich aus guten Gründen abgesetzt hatte. (Ich bekomme davon manchmal noch mehr Kopfschmerzen.) Entnervt verzog ich mich mit dem Rezept.
Dann holte ich meine Unterlagen von der Verwaltung ab, brachte sie zur Kasse, wo ich nochmal eine Stunde warten mußte, bis ich das Geld für die Behandlung bar auf den Thresen legen konnte. Aber damit war es nicht genug, denn meine Krankenkasse kann kein Japanisch; also brauchte ich eine Rechnung auf Englisch.
Das verstand natürlich wieder keiner. Also wurde der Angestellte geholt, der mir schon bei der Anmeldung geholfen hatte. Nach fünf Minuten hin und her hatte er endlich verstanden und verschwand. ("Other will do.") Dann wartete ich nochmal ungefähr eine Stunde, bis ein Anzugträger mir stolz seine selbstgefertigte Übersetzung präsentierte. Das haute mich fast vom Stuhl: Der Mann hatte EINE Stunde für die Übersetzung von DREI Wörtern gebraucht! Und war darauf auch noch ganz offensichtlich stolz!
Völlig genervt verließ ich das Krankenhaus und machte mir schon Pläne, was ich beim nächsten Mal tun würde, um das Ganze angenehmer zu gestalten.
Da waren die Leute in der Apotheke doch irgendwie angenehmer und pfiffiger. Ein älteres Ehepaar bei uns am Bahnhof, das mich wohl genauso nett fand, wie ich sie süß. Die konnten zwar auch kaum Englisch, hatten aber immerhin das hier doch seltene Talent zur Improvisation und Abstraktion. Am nächste Tag konnte ich meine Medikamente abholen, und sie hatten sogar einen Zettel auf Englisch vorbereitet, wo alles draufstand, was sie mir sagen wollten. - Ich war gerührt.
Als ich neulich mal etwas abgeholt habe und Thomas vor der Tür mit den Fahrrädern gewartet hat, ist die Frau mir unter einem Vorwand sogar extra noch hinterhergekommen, um Thomas anzugucken...
Tja, von dem Medikament bekam ich tatsächlich mehr Kopfschmerzen und stand deshalb bald wieder beim Krankenhaus auf der Matte. Vorher hatte ich mich mit meinem Arzt in Deutschland per Mail über mögliche alternative Medikamente ausgetauscht und kam also wieder mit einem Vorschlag an, was bei der Ärztin ein Stirnrunzeln erzeugte. Sie rief wieder in der Medikamenten-Abteilung an und teilte mir dann mit, dieses Medikament sei in Japan ganz neu. (In Deutschland gibt es das schon länger, und überhaupt gibt es dort nicht nur drei, sondern wesentlich mehr Medikamente dieser Sorte.) Sie zögerte noch ein bischen, weil sie es nicht kannte, verschrieb es mir dann aber doch und tauschte sogar das andere Medikament auf meinen Wunsch gegen ein anderes aus. - Mann, war ich mutig!
Die Verwaltungsprozedur hatte sich auch erheblich vereinfacht, weil ich seit dem letzten Mal eine Plastikkarte mit Magnetstreifen hatte, die man einfach nur in einen Automaten schieben......
und dann hilflos gucken mußte, weil alles auf Japanisch war. Toll einfach! Das änderte allerdings nichts an dem Aufenthaltsminimum von zwei Stunden. Nur, daß ich eine Rechnung auf Englisch brauchte, das mußte ich wieder ganz von vorne erkämpfen. - Offensichtlich konnte sich daran niemand mehr erinnern. Also habe ich bei einem meiner folgenden Aufenthalte gefragt, ob man das nicht irgendwo im Computer speichern könnte. Das hatte einen riesigen Aufruhr und weitere zwei Stunden Wartezeit zur Folge. (Was machen eigentlich Leute, die arbeiten UND chronisch krank sind? Nehmen die sich dann nen Urlaubstag? - Super Urlaub!)
Ab da lief soweit alles ganz glatt. Wären...
ja, wären mir nicht meine täglich einzunehmenden prophylaktischen Medikamente nicht auch langsam zur Neige gegangen. Naiv, wie ich war, dachte ich, ich könnte das noch schnell vor dem Urlaub erledigen. Also bin ich wieder mal ins Krankenhaus gefahren, wo ich nach der üblichen einstündigen Wartezeit von der Ärztin erfahren durfte, daß es in Japan kein Magnesium zum Einnehmen gibt und Vitamin B2 in meiner hohen Dosierung in Japan verboten sei. (Gut, in Deutschland mußte das auch extra für mich in Kapseln verpackt werden; aber es war immerhin nicht verboten.) Wieder mal rutschte mir kurzzeitig das Herz in die Hose. Würde ich diese Medikamente nicht bekommen, würden sich meine Migräneanfälle wohl verdoppeln.
Ich wandelte meine Verzweiflung schnell in Konstruktivität um und versuchte, zusammen mit der Ärztin eine Lösung zu finden. Das war für die arme Frau wohl zuviel der Kooperation, denn plötzlich wurde sie ganz weiß im Gesicht und schrie mich an, ich solle mir doch einen anderen Arzt suchen, wenn mir das nicht passen würde!
Für diesen professionellen Rat drückte ich an der Kasse ca. 20 Euro ab und verschwand in den Urlaub.
Auf dem Weg nach Hause überlegte ich mir, was ich tun könnte. Zu mehreren Ärzten und mir jeweils so viel verschreiben lassen, wie möglich? Aber dann müßte ich auch zu verschiedenen Apotheken. Und immer zwei Stunden warten und alle Behandlungs- und Fahrtkosten erstmal selber bezahlen... Nee. Zu aufwendig. Und Magnesium aus Deutschland schicken lassen? Bischen teuer...
Daß ich die Medikamente nicht hatte, rächte sich im Urlaub schon ganz gewaltig...
Als wir zurück waren, schrieb ich dem Arzt in Deutschland wieder eine Chaos-Mail. (Ich entschuldige mich hiermit ganz offiziell!) Die Lösung war überraschend einfach. - Daß ich da nicht selber drauf gekommen bin...
Bestellung per Internet! Bei meiner Recherche war ich doch sehr erstaunt, was für Sachen in den USA so frei verkäuflich sind. (Bei Pizza Hut USA konnte man sogar Pizza mit "added Nutrition" per Internet bestellen. "Eine Pizza Hawaii mit extra Vitamin C, Q10 und Vitamin B12, bitte!")
Jedenfalls habe ich dort das gefunden, was ich brauchte. (Liebe Gertrud, lieber Timo, bitte weglesen!) Das war alles unglaublich viel billiger als in einer deutschen Apotheke. Schnell war geklärt, daß mein deutscher Arzt das Präparat befürwortet und sie die Sachen auch nach Japan schicken. (Natürlich müssen wir das aus eigener Tasche bezahlen.) Also haben wir erstmal eine Packung bestellt, auf die ich nun schon zwei Wochen warte und mir langsam Sorgen mache, ob sie nicht vielleicht doch beim Zoll hängengeblieben sind.
Blieb nur noch das Problem mit dem neuen Arzt ungelöst.
Also bin ich heute ins "Tsukuba Medical Center" gefahren, das mir von Linda empfohlen wurde. (Mein drittes Krankenhaus seit wir hier angekommen sind.) Das war dann ja doch schon was anderes. Erstmal habe ich gleich zu Beginn die für das Serviceland Japan angemessene Anzahl von Leuten (3-4) beschäftigt, die sich um meine Aufnahme und den richtigen Arzt gekümmert haben. Unheimlich nette Leute, die fast Englisch konnten und unglaublich rührend bemüht waren. Zufrieden machte ich es mir im Wartebereich bequem, als der Verwaltungsmensch von der Aufnahme nochmal ankam um mir zu sagen, ich müßte wahrscheinlich ca. 40 Minuten warten. Von dem Umsorgen schon ganz eingelullt, sagte ich, das mache gar nichts und versank wieder in meinen Gedanken. Naja, unter einer Stunde...
Ich kam dann sogar schon nach 20 Minuten dran. 
Der junge Arzt konnte ziemlich gut Englisch und wußte sogar was über Migräne. Sollte ich diesmal endlich Glück gehabt haben?
Doch dann wurde ich plötzlich hellwach: Hm, ja, also, dieses Medikament, das würde er nicht kennen, da müßte er mal in der Medikamenten-Abteilung... - Seufz!!! Zum Glück hatte ich mein Apotheken-Tütchen dabei, mit dem ich beweisen konnte, daß das Medikament in Japan existierte. Jaja, sagte der Arzt höflich, er müsse aber erstmal klären, ob dieses Krankenhaus dieses Medikament überhaupt verschreiben dürfe. Waaaaaaaaaaaas??? Habe ich das richtig verstanden? Es gibt Medikamente, die ein Krankenhaus verschreiben darf und ein anderes nicht??? ("Authorisiertes Aspirin-Krankenhaus"...) - Das behielt ich natürlich erstmal für mich und versuchte es zur Abwechslung mal mit der japanischen Variante: Pokerface.
Verständnisvoll nickte ich und wurde dann vom Arzt vor die Tür geschickt. - Das könnte ungefähr 2-3 Stunden dauern. (Ich bin ja wirklich selten froh, daß ich hier noch keinen Job habe. Aber angesichts dieser Wartezeiten...) Zum Glück dauerte es nur eine halbe Stunde, bis mir der Arzt sichtlich erleichtert verkünden konnte, das Rezept läge schon bereit. Uff! Nochmal gutgegangen.
An der Kasse erwartete mich dann der nächste Schreck: Dieses Krankenhaus war fast viermal teurer als das andere! (Naja, ich hab ja auch anfangs viermal so viel Leute beschäftigt...) Und außerdem meinte der Mann an der Kasse, ich dürfte das Rezept nur in der krankenhauszugehörigen Apotheke nebenan einlösen. Ich erklärte ihm, daß ich das nicht könnte, weil ich nicht genug Geld dabeihätte und daß ich das Rezept gerne bei mir um die Ecke einlösen würde, weil das vielleicht bestellt werden müßte. Daraufhin rief der Herr bei meiner Apotheke an, ob sie das Medikament denn hätten oder bestellen könnten. (Schön, wie hier den Patienten geglaubt wird...) Ich bekam mein O.k. und zog mit dem Rezept (und einer problemlosen Rechnung auf Englisch) ab.
Was wohl nächstes Mal passieren wird? Und ob meine Internetbestellung irgendwann mal hier ankommt?
p.s.: Ich bedanke mich hiermit ganz offiziell bei Herrn Professor Göbel für seine engagierte Katastrophenhilfe per Mail!!! - Ohne Sie wäre ich aufgeschmissen gewesen.
Wer mehr zu Migräne, dem Professor oder der dazugehörigen Klinik wissen will, findet hier alles, was das Patienten- und Angehörigenherz begehrt:
www.schmerzklinik.de
www.migraene-schule.de
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