von Thomas
Fast genau ein Jahr sind wir nun in Japan, am 1. Oktober 2004 sind wir hier angekommen und es ging auch gleich mit einem Paukenschlag los (s. Ankommen). Inzwischen hat sich natürlich noch viel, viel mehr ereignet, einiges davon kann man hier in diesem Tagebuch nachlesen. Vielleicht ist es aber auch mal gut, etwas Rückschau zu halten und eine Zwischenbilanz zu ziehen, nachdem nun die Hälfte unserer Zeit in Japan abgelaufen ist.
Warum sind wir eigentlich hier? Der Grund war meine Arbeit und daher hier auch zunächst einige Gedanken dazu. Ein Auslandsaufenthalt ist eine sehr sinnvolle und eigentlich auch notwendige Sache für einen Wissenschaftler und die Idee nach Japan zu gehen lag nahe, da wir sowohl beruflich als auch privat viele Beziehung dorthin hatten. Ich bekam dann auch sehr schnell ein konkretes Angebot und da Tokura einer der erfolgreichsten, vielleicht sogar der erfolgreichste unter Japans Physikern ist, gab es da auch kein langes Zögern, sein Angebot anzunehmen. Solche Chancen bekommt man nur äußerst selten geboten.
Zunächst hatten wir die Idee, dass ein Jahr vielleicht genug wäre, aber das dem nicht so ist, haben wir dann ganz schnell gemerkt. Jetzt ist ein Jahr um und die ersten brauchbaren Ergebnisse sind nun da, die ersten Paper werden geschrieben, einige Ergebnisse werde ich Anfang November auf der MMM in San Jose präsentieren. Würden wir tatsächlich naechste Woche wieder nach Deutschland gehen, würde ich hier nur Stückwerk hinterlassen. Zu lange hat es gebraucht, bis sich aus verschiedenen Ansätzen heraus, ein brauchbares Materialsystem gefunden hat, bei dem ich sinnvolle Ergebnisse produzieren kann. Jetzt hab ich die Schublade voll mit weiteren Proben, die alle noch vermessen werden wollen. Kurz, auch im zweiten Jahr wird keine Langeweile aufkommen.
Danach ist es dann aber doch genug. So gut das hier alles ist, die Gruppe ist sehr groß und technisch erstklassig ausgestattet, man kann hier alles machen, seine Proben, seinen es klassische CMR-Materialien oder organische Halbleiter, selber herstellen, charakterisieren auf jede erdenkliche Art und Weise und wenn die Resultate da sind, gibt es Theoretiker, die nach Erklärungen suchen. Alles ist da, Geräte und Personen und natürlich reichlich Geld, was man braucht, um erfolgreich Arbeiten zu können. Entsprechend hoch ist der Output der Gruppe an Papern, ein beträchtlicher Teil davon bei Nature, Science und PRL.
Von daher kann man sich absolut nicht beklagen, die Voraussetzungen für erfolgreiche Forschung sind in jeder Hinsicht gegeben. Aber das ist eben nicht alles. Forschen läuft in Japan ganz anders ab, als in Deutschland, das Miteinander, das Diskutieren, das Arbeiten, all das ist anders und auf Dauer einfach zu fremd, als das man es über Jahre durchhalten würde, ohne sich zu verbiegen. Und so wundert es nicht, dass entweder alle ausländischen Kollegen entweder allerspaetestens nach zwei bis drei Jahren wieder gehen oder sich in eine Art innere Emigration begeben und nach außen hin zynisch werden. Letzteres will ich nicht und daher werde ich gehen, solange es mir noch Spaß macht.
Warum das so ist? Es liegt wohl hauptsächlich in der unterschiedlichen Mentalität und der Sprachbarriere begründet. Alle Ausländer hier sind mehr oder weniger isoliert, bleiben meist unter sich. Es gibt wenig, bis gar keine Kontakte außerhalb der Arbeit und auch bei der Arbeit sind alle Gespräche fast immer auf diese beschränkt. Würde man fließend Japanisch sprechen, wäre das wohl anders, aber bis es soweit ist, ist es schon zu spät und man ist schon wieder zu Hause. Man müsste also die Sprache schon beherrschen, wenn man hier ankommt, aber wer kann das schon? Dazu müsste man so einen Aufenthalt schon Jahre vorher planen und das geht eigentlich nicht.
Schon der Anfang des Aufenthalts gibt das Weitere vor, wie ich jetzt mehrmals beobachten konnte. Die Sekretärin und der Verwaltungsassistent kümmern sich hervorragend um einen, helfen einem bei allen Problemen, sei es Wohnung, sei es Bank, seien es Behoerdengaenge. Bei allem wird einem geholfen. Da kann man sich in Deutschland mal eine Scheibe von abschneiden. Und das bleibt dann auch so, setzt sich bis heute fort. Ohne die beiden, wäre unser Leben hier um einiges schwieriger. Von den Kollegen wird man ins Labor eingeführt, es wird einem alles erklärt und auch daran ändert sich später nichts. Die Hilfsbereitschaft ist sehr groß, wenn man um etwas bittet, Hilfe braucht, bekommt man nie eine abweisende Antwort.
Aber das ist es dann auch schon. Ansonsten wird man allein gelassen. Mittags und Abends verschwinden die Leute, ohne einen mal zu fragen, ob man nicht mal mit zum Essen kommen möchte. Wenn man es umgekehrt versucht, wie mein koreanischer Kollege Lee es mit Engelsgeduld immer wieder getan hat, hat man auch keinen Erfolg. Ansonsten kommt man auch kaum ins Gespräch, die Sprachbarriere ist zu groß und so sind die Ausländer schnell isoliert und viele eben frustriert und wollen wieder weg. Einzig Matsuura-san, unser Verwaltungsassistent ist da eine Ausnahme, er begleitet mich und Lee oft zum Mittagessen und auch außerhalb der Arbeit entwickelt sich immer mehr Kontakt. Das ist sehr angenehm, andererseits fragt man sich, warum er der Einzige ist, der sich so verhält? Am Anfang hatte ich da noch etwas mehr Hoffnung, da war die Einladung, beim internen Baseball-Wettstreit mitzumachen und zu Weihnachten wurden wir auf eine Party eingeladen, aber mehr kam da nicht nach. Auch nachdem wir umgekehrt zu unserer Geburtstagsparty eingeladen hatten, hat sich im Umgang miteinander nicht viel geaendert.
Ein anderes Problem ist die streng hierarchische Struktur der Gruppe. Alles Entscheidungen laufen letztlich über Tokura, selbst die Profs und Gruppenleiter zeigen keine echte Eigenständigkeit und Initiative. Wenn mal was ohne den Chef besprochen wird, ist es letztlich wertlos, denn wenn er dann nicht viel davon hält, ist die Idee gestorben, bzw. es ist einfach nicht mehr die Rede davon. Und was für die Leute direkt unter Tokura gilt, trifft natürlich auf die Leute auf meiner Ebene noch viel mehr zu. Man kann nicht einfach mal untereinander selber ein Projekt aufziehen, alles muss immer im Rahmen der Zielvorgaben von Tokura bleiben. Selbst in unserer kleinen Gruppe in Dortmund hatten da die einzelnen Leute mehr Freiraum. In der Endphase meiner Promotion war unsere kleine Magnetikgruppe eigentlich völlig frei darin, was sie wann wie macht. Und in Berlin war das erst recht so. Hier hat man lediglich die Freiheit sich seinen Zeitplan selbst zu erstellen, an was man forscht, das ist mehr oder weniger vorgegeben. Für die Japaner ist das klarer Weise das Normalste von der Welt, aber für unsereins ist es auf Dauer einfach nix, wenn man auch nicht leugnen kann, dass die Methode gemessen an den Resultaten funktioniert, gar keine Frage. Aber das ist eben nicht alles...
Was für mich ganz persönlich die Sache auch nicht einfacher macht, und da ist jetzt nichts Japan spezifisches, ist, dass ich hier der einzige bin, der mit nichtlinearer Optik arbeitet, so dass ich niemanden habe, mit dem ich praktische Probleme, die einfach immer wieder während der Experimente auftreten, besprechen kann. In dem Punkt bin bin ich gänzlich auf mich alleine gestellt. Das ist einerseits gut, weil ich dadurch natürlich mehr gefordert werde, andererseits ist es aber nicht sehr effektiv, weil viele Probleme sich zu zweit oder in einer Gruppe einfach schneller lösen liessen. Aber da kann man nix, machen, außer hoffen, dass Tokura bald noch jemanden in die Gruppe holt, der auf diesem Gebiet arbeitet.
Aber genug gemeckert, denn unterm Strich bin ich nach wie vor sehr glücklich mit meiner Entscheidung, der Erfahrungsgewinn ist enorm, mein fachliches Wissen, sowohl physikalisch, wie auch methodisch, hat sich sehr erweitert, zuvor war mein Arbeitsgebiet einfach zu eng umrissen. Ich denke, dass das eine ganz Basis fuer die weitere Arbeit in Deutschland sein wird. Dazu kommen die menschlichen und kulturellen Erfahrungen, die man gesammelt hat, das erleben einer ganz anderen Arbeitsmethode, mal in der Minderheit sein und sehen, wie man sich da fühlt, das vergisst man nicht und gibt einem ein ganz anderes Verständnis für andere in solch einer Situation. Waeren wir in ein europaeisches Land oder nach Amerika gegangen, waere sicher vieles einfacher gewesen, aber nicht unbedingt besser. Vielleicht waere vieles dort auch zu einfach gewesen, hier dagegen ist man immer wieder aufs neue gefordert, seinen eigenen Weg zu finden und das kann letztlich eigentlich nur gut sein...
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