von Thomas
Wenn Manfred mal etwas deprimiert war, weil es mit der Professur wieder nichts werden wollte, dann sagte er immer, dass er ja noch Schilderhalter werden kann. Wenn man das in Deutschland hört, dann denkt man vielleicht nicht gerade, dass das ein gute Idee ist, denn wie soll man damit Geld machen? Ich jedenfalls dachte damals bei Schilderhalter eher an diese Leute, die mit einem "Jesus lebt"-Schild durch deutsche Fußgängerzonen ziehen, als an eine bezahlte Tätigkeit.
In Japan wurde mir dann recht schnell klar, dass man als Schilderhalter sich wohl schon durchs Leben schlagen kann. Der Schilderhalter gehört zu den unzähligen Arbeitsplatzbeschaffungsmasnahmen, mit denen zu einem sicher nicht geringen Teil Japan es erreicht, eine Arbeitslosenquote von nur wenigen Prozent zu haben, 3% oder so sind es wohl im Moment. Neben dem Schilderhalter gibt es dann noch die Leute, die in diversen Kostümen Werbung für Geschäfte oder Pachinko-Hallen machen, die Werbe-Taschentuchverteiler und natürlich meine persönlichen Favoriten, die Leuchtstabwinker. Letztere stehen meist mindestens zu zweit an quasi jeder noch so kleinen Baustelle, tragen eine Uniform und halten einen Leuchtstab in der Hand, der etwas an eine Spielzeug-Star-Wars-Lichtschwert erinnert, mit dem sie Passanten, Fahrradfahren oder Autofahrern signalisieren ob und wo sie die Baustelle passieren können. Einen ähnlichen Job (aber meist ohne Leuchtstab) haben die Parkhauseinfahrts- und Ausfahrtswinker. Die finden sich meist an den Parkhäusern großer und teurer Kaufhäuser und tragen ebenfalls schicke Uniformen, die immer etwas an alte Pagen- oder Portiersuniformen alter europäischer Hotels erinnern. Während diese Jobs alle boomen, scheinen die "Elevator Girls" allerdings langsam auszusterben. Diese jungen Damen, die die Fahrstühle bedienen, stehen während der Fahrt immer mit dem Gesicht in eine Fahrstuhlecke gewand herum und erzählen den Leuten, was sich in der jeweils aktuellen Etage befindet. Sehr süß, aber eher nur noch selten anzutreffen.
Natürlich tragen auch die "Elevator Girls" immer eine schicke Uniform. Genauso wie an meinem Arbeitsplatz die unzähligen Empfangsdamen in den jeweiligen Gebäuden und Begruesungsonkels an den Eingangstoren zum Gelände. Das eine Uniform das Selbstwertgefühl heben kann, wenn man eine Job hat, der vielleicht nicht so toll ist, dass wusste man schon immer (Da empfiehlt sich z.B. der grandiose Stummfilmklassiker "Der letzte Mann" mit Emil Jannings, über einen Hotelportier, dem, als er seinen Job verliert, nichts mehr bleibt, um seine Selbstachtung aufrechtzuerhalten, als seine Uniform) und funktioniert hier auch perfekt. Jeder Leuchtstabwinker nimmt seinen Job sehr ernst und niemand würde auf die Idee kommen, ihn nicht ernst zu nehmen und seine Hinweise zu missachten.
Und, um auf die Schilderhalter zurückzukommen, es wird hier auch niemanden verwundern, wenn so ein Schilderhalter eine schicken schwarzen Anzug trägt, so wie die Exemplare, die wir während der "Golden Week" in Tsukuba gesehen haben. Außer uns natürlich, und deshalb machen wir da auch gleich ein Photo und setzen es ins Blog.
Aber eigentlich haben wir uns doch auch schon ganz schön an all dies gewöhnt. Und es ist ja auch oft praktisch, wenn man sich z.B. einer Ausfahrt nähert und man sich darauf verlassen kann, dass jemand da ist, der aufpasst, dass man nicht vom naechsten Auto, das plötzlich aus der Ausfahrt schießt umgefahren wird. Und wenn ich mit den Fahrrad unterwegs bin, freue ich mich auch, dass mich jemand durch die Baustelle lotst und ich auch weiß, dass dieser Weg dann frei und gut passierbar ist.
Und so ist das auch meist mit all den anderen Jobs, die es hier gibt, und von denen man erstmal vielleicht denkt, muss das denn sein? Aber Japan ist eben ein Service-Land und das merkt man immer wieder. Wenn ich z.B. nach Starbucks gehe, dann arbeiten da gut doppelt so viele Leute in einer Filiale, als in Deutschland und entsprechend schnell bekomme ich, was ich haben will. Im Supermarkt sind immer soviele Kassen auf, dass ich hier noch nie in einer Schlange stand, die aus mehr als 3 Personen inklusive mir bestand. Kein Wunder wenn's auch 10 Kassen gibt, wo es in Deutschland vielleicht 3 gibt (nicht zu vergessen, dass die Kassiererinnen einem oft auch noch die Einkaufstueten packen oder einem zumindest den Einkaufskorb, zumindest wenn er sehr voll(!) ist zum Einpackplatz tragen, während man das Geld zum bezahlen zusammensucht...). Das gleiche in der Bank, bei der Post, bei Behörden usw. Einzig die Zahl der Ärzte im Krankenhaus könnte manchmal etwas größer sein. Aber ich denke, dass kommt uns auch nur so vor, weil man ansonsten fast nie irgendwo warten muss, bis sich jemand um einen kümmert. Und wenn ich an Deutschland zurückdenke, dann habe ich dort auch schon mal 2 Stunden in manch einem Wartezimmer zugebracht...
Und sonst? Man könnte die Liste noch ganz lange fortsetzen, z.B. mit den alten Frauen, die tief eingemummelt immer die Gruenstreifen an den Straßen in Handarbeit vom Unkraut befreien, mit der durchschnittlichen Anzahl von Arbeitern auf Baustellen, die in der Regel einfach schneller verschwinden als in Deutschland, den Tankstellen, bei denen einem das Benzin noch in den Tank gefüllt wird und jemand anders einen dabei die Scheiben reinigt, oder, oder, oder... An ganz vielen Stellen wird hier einfach Leuten Arbeit gegeben, die es in Deutschland entweder gar nicht gibt oder irgendwann weg rationalisiert wurde. Klar, das sind oft keine Traumjobs, wahrscheinlich oft auch schlecht bezahlt, aber es ist Arbeit und wenn man bedenkt, dass es oftmals gerade diese Jobs sind, die einem diese Gefühl geben, dass Japan eben ein Serviceland ist und einem das Leben in vielen Details oft einfacher und angenehmer machen, dann sind es eigentlich oft wirklich auch keine sinnlosen Jobs, wie man eigentlich im ersten Moment meinen könnte.
Und wenn ich morgens bei der Arbeit ankomme und mir erstmal ein kräftiges "ohayo gozaimasu" entgegen schalt, dann ist das halt schon mal ein guter Start in den Arbeitstag. That's it...
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